Konstruktiver Journalismus – zu schön, um wahr zu sein?
„Verkehrsunfall auf der A4“, „Aktie stürzt schon wieder ab“, „Unwetter-Katastrophe auf Mallorca“– wer morgens die Timeline seiner Lieblings-Nachrichten-App herunterscrollt, bekommt schnell das Gefühl, überwiegend negative Meldungen zu lesen. Man wird den Eindruck nicht los, dass Medien hauptsächlich über Probleme und Missstände berichten. Seit einiger Zeit gibt es jedoch eine Strömung im Journalismus, die sich zum Ziel gesetzt hat, den schieren Massen an „bad news“ etwas entgegenzusetzen: Sie nennt sich „Konstruktiver Journalismus“.
Zukunftsorientierte Lösungen anbieten
Dabei geht es dem Konstruktiven Journalismus vor allem darum, Lösungen aufzuzeigen statt Probleme zu beschreiben. Vor allem zukunftsgewandt will die Strömung sein: „Konstruktiver Journalismus ist ein Versuch, Journalismus auch auf Morgen zu fokussieren. Es geht darum, dass wir in der Demokratie eine besondere Rolle haben, wir sollen ausgeglichen berichten und nicht nur über das, was extrem und voller Konflikte ist. Eine gute Geschichte ist nicht nur die schlechte, sondern kann auch inspirieren“, erklärt Ulrik Haagerup in einem Interview mit Deutschlandfunk. Der dänische Journalist gilt als einer der Vordenker der neuen Berichterstattungsform.
Crowdfunding mit prominenter Unterstützung
Doch wie lassen sich Nachrichten in einen lösungsorientierten Kontext so einbetten, dass sie auch online gut konsumiert werden können? Das Online-Magazin Perspective Daily hat einen Versuch gestartet: Die Gründer des Magazins haben Anfang 2016 eine Crowdfunding-Kampagne ins Leben gerufen, um dem Projekt eine finanzielle Starthilfe zu ermöglichen. Dadurch inspiriert, machten sich einige Prominente wie Ex-Fußballer Mehmet Scholl und Klaas-Heufer Umlauf für die Initiative stark und trugen dazu bei, dass über 10.000 Nutzer Geld in das Projekt steckten – insgesamt eine Summe von einer halben Million Euro.
Wissenschaftlich, umfangreich, hintergründig
Die Idee hinter dem Projekt ist simpel: Das Redaktionsteam veröffentlicht einmal pro Tag einen Artikel, der sich tief- und hintergründig mit einem bestimmten Thema auseinandersetzt. Die Beiträge umfassen nicht selten mehr als 2.000 Wörter und haben häufig einen wissenschaftlichen Anklang. Kein Wunder, denn das Redaktionsteam besteht überwiegend aus Wissenschaftlern, die besonders viel Expertenwissen vorzuweisen haben. Auf der anderen Seite sind die Texte dadurch eher für ein akademisches Lesepublikum interessant.
Lösungen für 60 Euro im Jahr
Doch wie finanziert sich Perspective Daily? Für einen Jahresbeitrag von 60 Euro können Interessierte den Service von konstruktiven Artikeln bei Perspective Daily nutzen. Im Juni 2016 hatte das Magazin nach eigenen Angaben über 14.000 Abonnenten. Daher sei es möglich, gänzlich auf Werbung zu verzichten. Neben dem Online-Magazin gibt es auch andere Formate, die sich Konstruktivem Journalismus widmen: Das ZDF Reportage-Format Plan B, die Radio-Sendung NDR-Info Perspektiven und die Rubrik Gut zu wissen in der Sächsischen Zeitung. Auch international findet das Modell des lösungsorientierten Journalismus Anklang: So werden auch in der BBC-Serie Worldhacks konstruktive Elemente eingebaut.
Modell für die Zukunft?
Journalistische Beiträge, die auch noch Lösungen für die komplexen Probleme der Welt anbieten ohne sich an Klickzahlen orientieren zu müssen: Klingt alles zu schön, um wahr zu sein, oder? Immerhin gibt es ja eine feste Stammzahl an Abonnenten, die für eine stete Finanzierung sorgt. Bleibt abzuwarten, ob es sich hierbei bloß um einen aktuellen Trend handelt oder ob sich Konstruktiver Journalismus auch auf lange Sicht weiter etablieren kann. Dabei könnte vor allem die digitale Kommunikation eine wesentliche Rolle spielen. Insbesondere Social Media gibt neuen Formaten die beste Möglichkeit, sich zu etablieren. Dort ist es aus Sicht eines konstruktiv agierenden Mediums möglich, eine andere Tonalität durchzusetzen und nicht mehr reißerisch zu agieren, sondern den Content direkt lösungsorientiert auszurichten. Außerdem ermöglicht Social Media, interessierte Menschen auch über ein gezieltes demografisches und Interessen-Targeting anzusprechen und über verschiedene Themenschwerpunkte die üblichen Filterblasen zu durchbrechen. Damit könnte der Konstruktive Journalismus nach und nach ein Gegengewicht zu den klassischen tagesaktuellen Medien aufbauen.